Das Wildunfall- und Totfund-Kataster Schleswig-Holstein - ein Modell

 

Seit 2010 hat das „Wildtier-Kataster– Schleswig-Holstein“ 19.000 Meldungen zu allgemeinen Totfunden und speziell zu Unfällen mit Wildtieren gesammelt (Stand 01.09.2014). Ermöglicht wird die Datenerfassung und -analyse durch Zuwendungen des Landesjagdverbands Schleswig-Holstein und Mittel der Jagdabgabe des MELUR.
Der Bericht zeigt auf wie Unfallschwerpunkte identifiziert werden können und welche Grundlagen ein systematisches Unfallmonitoring sowohl für den Tier- und Artenschutz als auch die Verkehrssicherung bereit stellen könnte, denn trotz unzähliger Berichte über Verkehrsopfer von Wild oder von geschützten und bedrohten Tierarten ist das Ausmaß des Verkehrstods vermutlich immer noch unterschätzt und der Einfluss auf das Unfallgeschehen sowohl von verkehrlichen Merkmalen (z. B. Straßenbegrenzung, Begleitgrün, Querungshilfen, Verkehrswegedichte, Verkehrsdichte und -geschwindigkeit) als auch der umgebenden Landnutzung (z. B. Biotopanordnung, Wegeführung, Störungen) ist nicht genügend quantifizierbar, um effiziente und situationsgerechte Problemlösungen zu entwickeln.

Arbeitsziele, Motivation und Mitwirkende

Zwischenziel bis 2014 war es, aufzuzeigen, ob mittels genauer Erfassung und geeigneter Auswertung der Wildtierunfalldaten, Konfliktschwertpunkte lokalisiert werden können. Die Datensammlung erfolgt durch freiwillige Mitarbeiter – bisher vorrangig Jägerinnen und Jäger. Das Resultat, dass im Durchschnitt der letzten 3 Jahre in Schleswig-Holstein monatlich über 550 Wildtier-Verkehrsunfälle gemeldet wurden (bei noch unbekannter Dunkelziffer), verdeutlicht die vorhandene Verkehrsgefährdung, das drängende Tierschutzproblem und die möglicherweise erheblichen negativen Einflüsse auf die Wildtierpopulationen und deren Lebensräume. Deshalb soll nun ein valides Auswerteverfahren entwickelt werden, dass es ermöglicht, relevante Wildunfallstrecken lokalisieren zu können.

Material und Vorgehensweise

Totfunde und Wildtierunfälle werden dem Kataster mittels eines Fragebogens oder einer Erfassungskarte (Papier oder Online) sowie einer Smartphone-App gemeldet
Die bisherigen Datensätze decken aktuell ca. 50% der Landesfläche Schleswig-Holsteins ab. Für den vorliegenden Bericht wurde ein Datenbankauszug vom 01.05.2014 (15.000 Meldungen insgesamt) verwendet. Gemeldete Daten werden kontinuierlich eingepflegt, aber noch nicht alle Daten sind für Auswertungen aufbereitet. Insofern soll i. W. das Potential eines Totfund-Katasters aufgezeigt werden.
Für die Zwischenauswertung wurden nur Datensätze berücksichtigt, die folgende Kriterien erfüllten:
•    Meldejahr: 2010 – 2014,
•    Todesursache: Ausschließlich Verkehrsunfall,
•    Bislang berücksichtigte Melder: Ausschließlich Jagdausübungsberechtigte (JAB), um für die Zwischenauswertung ein möglichst homogenes Meldeverhalten sicher zu stellen
•    Unfallorte: Die Wildunfälle an Autobahnen sind derzeit in den Auswertungen nicht berücksichtigt, weil die Datengrundlage zu gering ist. Dies liegt daran, dass die Jagdausübungsberechtigten der angrenzenden Jagdbezirke die Autobahnen nur in polizeilich genehmigten Einzelfällen betreten dürfen, darüber hinaus ist das Unfallgeschehen mit Großtieren an gezäunten Abschnitten in der Regel gering.
Unter Beachtung dieser Kriterien konnten 12.007 der 15.000 gemeldeten Ereignisse in die weitere Auswertung eingehen. In einem iterativen Prozess wurden dann alle an einer Straße liegenden Wildunfallpunkte jeweils mit den nächsten Unfallpunkten vereinigt, solange der Abstand zwischen beiden nicht größer als 300m war. Welche Distanzklasse(n) für ökologische und verkehrliche Analysen am aussagekräftigsten ist, muss aber noch geklärt werden.

Ergebnisse

Die berücksichtigten Unfallorte aus 1.323 Jagdbezirken repräsentieren ca. 50% der Landesfläche. Es zeigte sich, dass das Kriterium „Distanz 300m“ allein genommen nicht zu klaren Ergebnissen zur Identifizierung von „Wildunfallschwerpunktstrecken“ (WUSS) führt, weil sich bei Anwendung dieses singulären Kriteriums mehr als 2.000 „Wildtierunfallstrecken“ ergeben hätten. Deshalb wurde ein zusätzliches Kriterium „ 5 Unfälle im Zeitraum 2010 bis Mai 2014“ gewählt. Danach verblieben noch 647 Straßenabschnitte. Diese verbliebenen Wildtierunfallstrecken wurden nach mittlerer jährlicher Unfalldichte (Tab.1) in vier Klassen eingeteilt. Die Klassengrenze der untersten Unfalldichteklasse wurde in Abhängigkeit von Verwaltungsgerichtsurteilen zum Aufstellen des Verkehrsschildes „Wildwechsel“ auf < 0,4 Unfälle / anno / 100 m gesetzt. Ausschließlich die „Klasse 1“-Streckenabschnitte mit über 2 Wildtierunfällen/Jahr/100 m werden im Folgenden weitergehend behandelt und als „Wildtierunfallschwerpunktstrecke (WUSS)“ bezeichnet.

 

Tabelle 1: Verteilung der Straßenabschnitte mit ≥ 5 Wildunfällen im Zeitraum 2010 bis Mai 2014, nach Unfällen je 100 m

Dichteklasse
(Wildunfälle je 100 m)
Anzahl der Abschnitte Mittlere Abschnittslänge Standardabweichung der Abschnittslängen Mittlere jährliche Unfallzahl
Klasse 4 (0,1 bis < 0,4) 153 1010 m 500 m 3,1
Klasse 3 (0,4 bis < 1) 312 690 m 382 m 4,0
Klasse 2 (1 bis < 2) 102 370 m 247 m 5,1
Klasse 1 (über 2) „WUSS“ 80 110 m 97 m 6,1

 

Lage der Wildtierunfallschwerpunkte

Die Wildunfallschwerpunktstrecken (WUSS) sind über ganz Schleswig-Holstein verteilt, allerdings etwas gehäuft im östlichen Umland von Hamburg. (Abb. 1). Eine weiter führende Betrachtung der Straßenabschnitte nach verkehrstechnischen oder wildbiologischen Aspekten soll in weiteren Projekten folgen.


 

Artenzusammensetzung an den besonderen Wildunfallschwerpunkten

Bei Betrachtung der an den Unfällen beteiligten Wildtierarten in den 80 WUSS im Zeitraum von Januar 2010 bis Mai 2014 zeigt sich, dass dort (bis auf das Reh) die Schalenwildarten (Wildschwein, Rothirsch, Damhirsch und Sikahirsch) überproportional beteiligt sind. Insbesondere bei der räumlich begrenzt vorkommenden Art Sikahirsch ist dieser Effekt besonders deutlich. Etliche besonders geschützte bzw. in der FFH- und Vogelschutzrichtlinie aufgeführte Arten (z. B. Baummarder, Iltis und versch. Vogelarten) werden im Totfund-Kataster erfasst, sind aber hier in den WUSS unterrepräsentiert und bislang auch nicht repräsentativ gemeldet.

Tierarten an Unfallschwerpunkten

 

Die Schalenwildzahl in den WUSS weisen auf mögliche vorhandene regionale Verbreitungsschwerpunkte oder besondere Raumnutzungen der Tiere hin. Einige WUSS werden nur durch Niederwildarten erzeugt (bspw. Feldhasen bei Heiligenhafen, Abb. 3); die Zerschneidung der Landschaft durch Straßen hat auch für kleine und mittelgroße Arten eine große Bedeutung. Inwiefern in solchen Fällen jedoch von einer WUSS gesprochen werden sollte, ist in Zukunft zu diskutieren. Die zukünftigen Auswertungen im Totfund-Kataster werden jeweils artspezifisch sowie für Gruppen von Arten (z. B. für Huftiere) erfolgen.

Verteilung der Arten an Unfallschwerpunkten

Fazit und Ausblick

Das Auftreten von Wildtierunfallschwerpunktstrecken ist abhängig von definierten Kriterien (Wildtierart, Streckenabschnittslänge, Definition „WUSS“ u.a.) zur Auswahl der genutzten Daten. Dennoch sind Orte mit dringendem Handlungsbedarf erkennbar (Vermeidungsprioritäten)
In Zukunft soll eine Betrachtung der einzelnen WUSS in Abhängigkeit von der betroffenen Wildtierart erfolgen, weil eine WUSS, an der überwiegend nur eine Wildtierart bzw. nur eine Artengruppe betroffen ist, es ermöglicht, dass wildtierartspezifische Maßnahmen zur Vermeidung von Unfällen ergriffen werden (z.B. Tunnel für Fischotter oder Wildtierbrücken für Hirschartige).
Aus der Analyse der Habitatausstattung bzw. der Landnutzung an diesen Mortalitätsschwerpunkten ergeben sich möglicherweise valide Kausalitäten für die Entstehung der erkannten WUSS sowie Optionen für Schutz- oder Vermeidungsmaßnahmen.
Zusätzlich sollen Maßnahmen an Straßen zur Reduktion von Wildunfällen wie das Anbringen von Wildwarnreflektoren oder Zäunungen o.ä. dokumentiert werden. Dadurch könnte das Totfund-Kataster die Effektivität solcher Maßnahmen aufzeigen.
Das „Totfund-Kataster Schleswig-Holstein“ wird nun, nach 3 Jahren Erprobung und Betrieb, ab 2015 in einem Pilotprojekt mit zusätzlicher Unterstützung des Deutschen Jagdverbandes auf das gesamte Bundesgebiet ausgedehnt. Dabei ergeben sich zahlreiche Chancen und Anknüpfungspunkte zur Klärung offener Fragen u.a.

o    Erfassung größerer Vogelarten
o    Erfassung besonders schutzbedürftiger Kleintiere (insbesondere Arten der FFH-Richtlinie)

o    zur Ausweitung der Wirkung (Qualität, Quantität) der Straßenbegleitflächengestaltung (z.B. Vegetationsstruktur und dominante oder attraktive Pflanzenarten in Freiflächen, Grünland, Hecken, Gebüsch, Wald)
o    zur Raumnutzung großer Schalenwildarten
o    Einordnung der Populationsdaten (absolute Tierzahlen, Verlustraten und deren relative Bedeutung für Gesamtpopulation)
o    Einfluss von Verkehrsdichte oder Geschwindigkeit der Fahrzeuge


Eine solche Erweiterung des Totfund-Katasters ist allerdings auf Grund des deutlich größeren Aufwands nur unter Beteiligung weiterer Kooperationspartner in Verbänden oder Behörden möglich.
Wir danken dem Landesjagdverband und dem MELUR Schleswig-Holstein für die besondere Förderung beim Aufbau des Totfund-Katasters in Schleswig-Holstein und dem Deutschen Jagdverband für die bundesweite Ausweitung

Autoren:
H. Schmüser,
F. Broszio,
Dr. U. Fehlberg
Dr. H. Reck
Institut f. Natur- & Ressourcenschutz
Abt. Landschaftsökologie
Wildtier-Kataster Schleswig-Holstein
CAU Kiel

Sonja Graummann
Wildtier-Kataster Schleswig-Holstein
Landesjagdverband SH e.V.
 

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