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Wildschwein (Sus scrofa)

 

Lebensraum (Habitat) und Lebensweise

Das Wildschwein (Schwarzwild) ist zwar als Waldbewohner in ausgesprochen waldarmen Agrarregionen kaum verbreitet, hat sich jedoch als Kulturfolger bereits die Randgebiete der Großstädte und deren Parks als Lebensraum erobert. Das Wildschwein ist zum Teil bereits bis in die Kerngebiete der Städte vorgedrungen.
Es sucht seine Nahrung meist wühlend am Boden. Es werden Pflanzenteile, Früchte aller Art und tierische Nahrung, wie Insekten, Würmer, Mäuse usw. aufgenommen. Gelege von Bodenbrütern sowie abgelegte Jungtiere von Hirschartigen werden saisonal erbeutet. Aas wird zu jeder Jahreszeit gefressen. Wenn die Population so groß ist, dass der Wald, als seine eigentliche Heimat, es nur ungenügend ernährt, kann das Wildschwein erheblichen Schaden in landwirtschaftlichen Flächen anrichten.
Schwarzwild bildet feste Sozialstrukturen mit Verbänden aus weiblichen Tieren mit den Frischlingen beiden Geschlechts (Rotten). Männliche Tiere leben ab der Geschlechtsreife in der Regel einzelgängerisch und suchen die Rotten nur zur Fortpflanzungszeit (Rauschzeit) auf. Die Fortpflanzung erfolgt zu festen Jahreszeiten, meist im November oder Dezember.
Weibliche Tiere beteiligen sich unabhängig vom Alter ab einem Körpergewicht von ca. 30 kg an der Reproduktion. Die Mortalität der Jungtiere ist hoch. Die ersten 3 Monate überleben ca. 80% eines Jahrgangs, die ersten 12 Monate noch ca. 35%; etwa 15% werden älter als 24 Monate und weniger als 10% werden älter als 3 Jahre (Niethammer et Krapp, 1986). Keuling et al. (2013) berichten aktuell von Überlebensraten im 1. Jahr von mehr als 50% und allgemein sinkender Mortalität bei steigender Reproduktivität.
 
Die Rotten sind, relativ standorttreu, solange sie ausreichend Nahrung, Ruhe und Schutz finden und nicht übermäßigem Jagddruck ausweichen. Untersuchungen haben gezeigt, dass eine Rotte in der Regel ein Revier von 1000-6000 Hektar bewohnt. Dabei ziehen sie auf Nahrungssuche in einem Gebiet umher, dessen Umkreis selten größer als 15km ist. Größere Ortswechsel werden in der Regel nur von alten Keilern und jungen Wildschweinen unternommen, die aus der Rotte verstoßen wurden und auf der Suche nach einem neuen Revier sind.
Außer dem Menschen, als Jäger oder in Form des Straßenverkehrs, hat das Wildschwein in Deutschland keine Feinde. Durch fehlerhafte Bejagung können die Rottenstrukturen zerstört werden, was eine unkontrollierte Fortpflanzung zur Folge hat. Die Bestandsentwicklung wird dadurch zusätzlich gefördert.

Vorkommen

Das Verbreitungsgebiet des Wildschweins dehnt sich seit Jahren aus. Bis auf die Marschbereiche, den nördlichen Teil von Angeln und weite Teile der Eider-Treene-Sorge-Niederung erstreckt sich sein Areal in ganz Schleswig-Holstein. Ein Vergleich der Ergebnisse der Umfragen des WildTierKatasters aus den Jahren 2004/05 und dem Jahr 1998 zeigt die Dynamik der Ausbreitung des Wildschweins. Da mit einer weiteren Expansion dieser Art zu rechnen ist, wurde auf Basis beider Umfragen eine Interpretationskarte zur Verbreitung des Wildschweins in Schleswig-Holstein entwickelt (Schmüser 2005).

Populationsentwicklung

Das ursprünglich allgegenwärtige Wildschwein war in Dänemark bereits im 17.Jahrhundert vollständig ausgerottet und ab dem 18. / 19. Jahrhundert war es dann im gesamten Mitteleuropa weitestgehend verdrängt oder zumindest erheblich zurückgedrängt worden (Hald-Mortensen, 2007), (Markström et Nyman, 2002). Im 20. Jahrhundert erfolgten dann eine Wiederbesiedelung und starke Vermehrung. Bis 1939 waren in Schleswig-Holstein Wildschweine aber nur im Herzogtum Lauenburg als Standwild verbreitet doch schon 1945 hatte sich die Population bis in die Region Rendsburg ausgedehnt.
Die Populationsentwicklung ist sowohl aus dem Vergleich der WildTierKataster-Erhebungen als auch aus der Jagdstreckenstatistik als stark expandierend zu bezeichnen. Bei einer Reproduktionsleistung bis maximal 300 % können die Bestände bei extensiver Bejagung, günstigen klimatischen Bedingungen und guter Nahrungsverfügbarkeit exponentiell ansteigen. Die Nahrungsverfügbarkeit ist in den letzten Jahren, in Teilen auch bedingt durch den vermehrten Maisanbau und zahlreiche Mastjahre in Folge, als sehr gut zu bezeichnen. Der im Frühjahr 2006 sehr kalte und schneereiche März hat dagegen regional zu einer sehr hohen Sterberate bei Frischlingen geführt, was aber bis heute weitgehend ausgeglichen werden konnte.

Status

Die Bestände haben sich in den vergangenen Jahren bedeutend vergrößert und das Areal wurde deutlich erweitert. Ohne eine intensive Bejagung nach Richtlinien, welche die Populationsbiologie der Art berücksichtigen, wird es zu erheblichen Schäden in landwirtschaftlichen Flächen kommen. Des Weiteren haben hohe Wildschweinbestände einen negativen Einfluss auf am Boden brütende Arten.

Erfassung 2014

Das Wildtier-Kataster Schleswig-Holstein dokumentierte die Siedlungsräume der schleswig-holsteinischen Wildschweinpopulation in den Jahren 1998, 2004, 2009 und 2014. Dazu wurden die Jagdausübungsberechtigten jeweiliger Jagdbezirke (Stichprobenfläche) mittels eines standardisierten Fragebogens nach der Qualität des Vorkommens („ständig anwesend = Standwild“, „zeitweise anwesend = Wechselwild“, „selten anwesend“ = selten oder „nicht vorkommend“) befragt. 2014 wurden zusätzlich Informationen aus dem „Totfund-Kataster SH“ (Schmüser et al 2014) und aus den Jagdstreckenmeldungen herangezogen. Insgesamt gingen 1.378 auswertbare Stichprobenangaben ein. Im Jahr 2014 erfüllten diese Bedingung 147 Hegeringe mit einer Fläche von 11.400 km², die ca. 76,8 % der Landfläche entsprechen. Davon werden 14% (d.h. ca. 1.600 km²) nicht von Wildschweinen genutzt. Die regelmäßig von Wildschweinen genutzte Fläche (Standwild, Wechselwild) betrug ca. 9.720 km² bzw. 65,5% der Landfläche SH. Hinzu kommen 1.710 km² (11,5 % der Landfläche) die „selten“ von Wildschweinen genutzt wurden. Somit waren 2014 ca. 77 % der Landfläche Schleswig-Holsteins in unterschiedlicher Intensität von Wildschweinen als Lebensraum besiedelt.

Räumliche Entwicklung

Die Wildschweinpopulation in Schleswig-Holstein hat sich weiter räumlich ausgebreitet. Der Kern-Siedlungsraum erweiterte sich im Zeitraum zwischen 2004 (ca. 7.180 km²) und 2009 um rund 1.440 km² (ca. 20 %) und von 2009 bis 2014 um weitere ca. 1.100 km² (ca. 13 %). 75 % der neu genutzten Areale liegen nördlich des Nord-Ostsee-Kanals. Die Ausbreitung erfolgt weiterhin in nördlicher und westlicher Richtung (Abb.1).

Die mit der Populationsentwicklung einhergehende Steigerung der Abschusszahlen von 9155 im Jagdjahr 2013/2014 auf 11.273 Wildschweine im Jagdjahr 2014/15 beträgt 23 %. Seit Jahren wird die Tragfähigkeit der Lebensräume für Wildschweine durch stetige Optimierung des „agrogenen“ Nahrungsangebotes (Gethöffer et al. 2007; Cellina 2008) gesteigert. Zusätzlich steigt – sowohl durch die nach wie vor extremen, artifiziellen Nährstoffeinträge als auch durch die, als Folge des Klimawandels zunehmend länger andauernde Vegetationsperiode das „natürliche“ Nahrungsangebot (Waldmast) und die Winterverluste sinken, so dass das artspezifische, jährliche Reproduktionspotential von 300% und mehr (Gethöffer et al. 2007) ausgenutzt werden kann.

Mit Ausnahme der meisten Marschgebiete, Teilen der Eider-Treene-Niederung und Teilbereichen der nordfriesischen Geest, kommen Wildschweine wenn auch in unterschiedlichen Populationsdichten mittlerweile im gesamten Landesgebiet vor (Abb. 2). Sowohl in Bezug auf die Verbreitung als auch auf die Ausbreitung sind noch die Sperrwirkungen der Infrastrukturlinien als Wanderungshindernis in der Landschaft erkennbar, z.B. im Bereich der BAB 7 im nördlichen Geestbereich, im Verlauf des NOK westlich der BAB 7 und der BAB 23 westlich Hamburgs, dort im Zusammenspiel mit der dichten Bebauung und der zahlreichen, wilddicht gezäunten Sonderkulturen (Baumschulen u.a.). Diese Sperrwirkung war bei Wildschweinen, die sich – bei Gewöhnung – sehr resistent gegen (nicht jagdliche) anthropogene Störreize zeigen nicht so deutlich zu erwarten.

Mit weiter steigenden Schäden in der Landwirtschaft und mit steigender Wahrscheinlichkeit der Übertragung von wirtschaftlich bedeutenden Tierseuchen ist zu rechnen und merkliche. sowohl positive als auch negative Einflüsse auf andere Wildtiere und Lebensräume sollten zukünftig genauer beobachtet werden. Eine forcierte jagdliche Bewirtschaftung alleine wird sicher nicht ausreichen um eine ggf. erwünschte Reduktion der Populationsdichten oder eine Begrenzung des Siedlungsareals zu bewirken. Bemerkenswert ist dabei aber, dass in den seit längerem dicht vom Wildschwein besiedelten Gebieten in den letzten Jahren augenscheinlich keine weitere deutlich Zunahme erfolgte – auch hierzu sind genauere Analysen anzustreben.

Literatur

  • Durantel, Pascal. 2000: Jagd und Hege des Wildes. Deutsche überarbeitete Ausgabe. Köln.
  • Schmüser (2005): Wildschwein. Jagd & Artenschutzbericht 2005
  • Hald-Mortensen, P. (2007): Vildsvin. Dansk Pattedyrsatlas s. 220 – 223; Gyldendal Gethöffer F, Sodeikat G, Pohlmeyer K (2007) Reproductive parameters of wild boar (Sus scrofa) in three different parts of Germany. Eur J Wildl Res 53:287 – 297
  • Niethammer, J. u. Krapp, F. (1986): HB Säugetiere Europas, Bd. 2,II, S 41&55, Paarhufer - Artiodactyla (Suidae, Cervidae, Bovidae), Wiesbaden: Aula-Verlag; ISBN 3-89104-026-1
  • Markström, S. u. Nyman, M. (2002): Vildsvin. Jägareförlaget
  • Keuling, O.; E. Baubet ; A. Duscher; C. Ebert; C. Fischer; A. Monaco; T. Podgórski; C. Prevot; K. Ronnenberg; G. Sodeikat; N. Stier; H. Thurfjell, Eur J Wildl Res (2013): Mortality rates of wild boar Sus scrofa L. in central Europe, 59:805 – 814

 

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