Totfundkataster Schleswig-Holstein

Ein neues System zur Erfassung tot aufgefundener Wirbeltiere

Bisher hat sich das Wildtier-Kataster Schleswig-Holstein (WTK-SH) vorwiegend mit der Erfassung von lebenden Tierpopula­ti­onen befasst. Mit diesem neuen Projekt sollen weitere Faktoren erfasst werden, die für eine Population wichtig sein können. Besonders der Straßen- und Schienenverkehr sind als Todesursache für unsere Wildtiere bedeutend. Im Jahr 2010 wurde mit dem Aufbau des Totfundkatasters begonnen und 2011 mit der Datenerfassung. Die Datenbankerweiterungen wurden in Zusammenarbeit mit der Fa. Digsyland am WTK-SH entwickelt. Mit dem Totfundkataster steht nun eine Datenbank zur Verfügung, die erstmals einen Überblick über Wildunfälle in ganz Schleswig-Holstein ermöglicht. Weitere Todesursachen neben Verkehrsunfällen können ebenfalls erfasst werden.

Die Daten werden entweder von Jagdpächtern auf Kartenformularen oder über eine Web-GIS-Applikation eingetragen und dokumentiert.

Zwischenzeitlich ist eine „App“ für Apple IPhone entwickelt worden, die es ermöglicht, notwendige Eintragungen schon am Unfallort vorzunehmen.

Schienen- und Straßenverkehr sind eine große Gefahrenquelle, nicht nur für Menschen, sondern auch für Tiere. Wildunfälle sind für einige Tierarten die häufigste Todesursache (s. Jagd- & Artenschutzbericht 2010). Häufungen von Unfällen mit Wildtieren an bestimmten Punkten in der Landschaft deuten auf eine Zerschneidung von wichtigen Bewegungsachsen der Wildtiere hin, solche Zerschneidungen gilt es in Zukunft zu minimieren. Dazu liefert das Totfundkataster wertvolle Daten.

Das Projekt ist als ein offenes System ausgelegt, in dem nicht nur alle verunfallten Arten aus dem Jagdrecht erfasst werden können, sondern auch alle anderen Wirbeltierarten (Igel, Eichhörnchen, Frösche u.a.) können mit dem neuen Datenbanksystem registriert werden. Über Verkehrsunfälle als Todesursache hinausgehend können auch andere Ursachen, sogenanntes allgemeines Fallwild, eingegeben werden.

Diese Offenheit des Datenbanksystems ermöglicht es, in Zukunft z.B. Projekte zur Epidemiologie oder lokal besondere Erfassungen zu entwickeln

In einem ersten Schritt wurden alle Jagdpächter angeschrieben und erhielten Formulare, die dann vom WTK in die Datenbank eingegeben wurden. Jäger werden oft zu Wildunfällen gerufen und sind im Ansprechen der Arten und der Altersklasse geschult. Alle Pächter erhielten eine Karte, in der sie Unfallschwerpunkte und einzelne Unfälle eintragen und dokumentieren konnten. Die Dokumentation bei einzeln erhobenen Wildunfällen umfasst neben der Lage des Unfalls und der Art auch Alter, Geschlecht, Datum und sofern möglich Uhrzeit des Unfalls.

Parallel zur Verteilung der Fragebögen wurde eine Internetseite aufgebaut, auf der die Wildunfälle online gemeldet werden können. Da die Daten für zukünftige Auswertungen und Forschungsfragen genutzt werden sollen, kann dies nur geschehen, wenn Rückfragen zum konkreten Wildunfall möglich sind. Daher werden nur Unfallmeldungen nach einer Registrierung des Melders angenommen.

Das Totfundkataster ist für den langfristigen Einsatz aufgebaut worden. Seit Mai 2011 können neben Papierformularen auch online Daten abgegeben werden. Derzeit sind über 9000 Wildunfälle und über 1500 sonstige Totfunde dokumentiert. Beteiligt haben sich bisher über 1000 Jagdbezirke aus dem ganzen Land. Hinzu kommen einige Meldungen von Beobachtern ohne einen Bezug zu einem Jagdbezirk. Grundsätzlich kann sich daher jeder an der Erfassung tot aufgefundener Wirbeltiere in der Landschaft beteiligen.

Erste Ergebnisse

Erste Ergebnisse zeigen, dass das Reh mit 78 % die am häufigsten gemeldete Wildart ist. Es ist zu vermuten, dass weitaus mehr Niederwild außer Reh, wie z.B. Hase, Fuchs oder Marder Opfer des Straßenverkehrs werden, dies aber nicht ausreichend dokumentiert und daher der Prozentanteil unterschätzt wird (Abb. 1).

Artenzusammensetzung. Anteile der bisher im Totfundkataster gemeldeten Arten. (n = 9385)

Für weitergehende wildbiologische Auswertungen liefert die Betrachtung des Jahresverlaufes der Wildunfälle wichtige Hinweise. Beim Reh erreichen die Wildunfälle ihren Höhepunkt im Mai während der Einstandskämpfe der Böcke. Beim Damwild sind die größten Verluste durch Straßenverkehr im Oktober zu verzeichnen.  Vermutlich fällt hier die Aktivitätsspitze der Damhirsche in der Dämmerung mit der Hauptverkehrszeit zusammen (Abb. 2 und 3).

Wie stark einzelne Straßenabschnitte von Wildunfällen betroffen sind und welche Ursachen dem zu Grunde liegen, sind offene Fragen. Diese sollen mit den Daten des Totfundkatasters in Zusammenhang mit Landschaftsstrukturen in der Zukunft in neuen Forschungsprojekten beantwortet werden. Für eine schnelle erste Auswertung wurde das Straßenbezeichnungssystem des Landesbetriebes Verkehr SH genutzt. Dies führte in der Karte zu fehlerhaften Angaben, da Wildunfälle auch Straßen zugewiesen wurden, die auch durch Gebiete führen, die sich bisher nicht beteiligt haben. In Zukunft wird deshalb auf eine GIS basierte Datenauswertung umgestellt. Bei genauer Betrachtung der Karte fällt insbesondere auf, dass die Bundesautobahnen nicht in Erscheinung treten. Wildunfälle an Bundesautobahnen konnten bisher nicht erfasst werden, da hier Jagdausübungsberechtigte normalerweise nicht tätig werden können. Eine Regelung zur Erfassung von Wildunfällen auf Autobahnen steht noch aus  (Abb. 4).

 

Verteilung der Wildunfälle beim Damwild im Jahresverlauf auf Monate. (n=386)

Verteilung der Wildunfälle beim Reh im Jahresverlauf auf Monate. (n=5636)

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Eine detaillierte Auswertung der Daten wird in Zukunft sicherlich viele interessante Ergebnisse liefern, die insbesondere dahingehend genutzt werden sollen,  Unfallschwerpunkte und ihre Ursachen zu identifizieren. Der bisherige Schwerpunkt der Arbeit lag im Aufbau des Erfassungssystemes und der Datenbank.

Karte Wildunfall-Straßenabschnitte Verteilung der gemeldeten Wildunfälle auf Straßenabschnitte des LBV SH (n=8342)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Autoren: Heiko Schmüser1, Sonja Graumann2, Dr. Daniel Hoffmann1

1Christian-Albrechts-Universität Kiel
Institut f. Natur- & Ressourcenschutz
(ehem. Ökologie-Zentrum Kiel)
Abt. Landschaftsökologie
Projekt WildTierKataster
Olshausenstr. 75
24118 Kiel

2Landesjagdverband Schleswig-Holstein e.V.
Projekt WildTierKataster
Böhnhusener Weg 6
24220 Flintbek

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